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Gründungserklärung

Im Frühjahr 2021...

... wurden die Bestrebungen einiger Hochschullehrer bekannt, sich gebündelt diverser und zunehmender Bedrohungen der Wissenschaftsfreiheit im akademischen Raum entgegenzustellen. Vollkommen unabhängig voneinander wurde das so gegründete Netzwerk Wissenschaftsfreiheit von Studenten aus dem gesamten deutschsprachigen Raum kontaktiert. Sie wollten Ihre Unterstützung vonseiten der Studentenschaft aussprechen. Es waren so viele, dass sich der Gedanke aufdrängte, diese Unterstützung zu institutionalisieren. So entstand die Initiative Hochschuldialog, ein eingetragener und als gemeinnützig anerkannter Verein. 

Gründungserklärung (Frühjahr 2021)

1. Befund

Vor wenigen Wochen trat das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, ein Zusammenschluss größtenteils im deutschsprachigen Raum tätiger Hochschullehrer, mit dem Befund, dass die Freiheit der Wissenschaft an deutschen Universitäten zunehmenden Einschränkungen unterliegt, an die Öffentlichkeit. Auch wir, Studenten und Doktoranden verschiedener deutschsprachiger Universitäten und jeglicher politischen Couleur, sehen die Gefahr der außer- und inneruniversitären Beeinflussung und Einschränkung von Forschung und Lehre und schließen uns dem Befund der Unterzeichner an.

Wir stellen fest, dass universitäre Diskurse aus zwei Richtungen von Einschränkungen bedroht sind: zum einen bestimmen zunehmend außerwissenschaftliche Ideologeme und Vorgaben die Arbeit und das Denken an den Universitäten. Die Kommerzialisierung der Wissenschaft, die Idee der unternehmerischen Universität und die aus diesen Entwicklungen resultierende Forderung, dass Universitäten vor allem wirtschaftlich verwertbare Ergebnisse zu liefern haben, führen dazu, dass der reine Erkenntnisgewinn in den Hintergrund rückt und die Freiheit der Forschung eingeschränkt wird. Gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften hat dies zur Folge, dass nicht-quantifizierbare Forschung als unnütz bewertet wird und infolgedessen mit einer Minderung der Finanzmittel rechnen muss, wenn sie sich nicht in anderer Form außeruniversitären Meinungskonjunkturen andient. Auf diese Weise wird die Forschung homogenisiert und der Raum für die Entwicklung neuer Ideen und deren Diskussion eingeschränkt.

Zum anderen erleben wir auch eine Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit durch inneruniversitäre und innerwissenschaftliche Bestrebungen, die den Pluralismus der Meinungen, Überzeugungen und Methoden aus politischer Motivation heraus einengen und einem bestimmten Wertekanon unterwerfen wollen. Bestimmte Haltungen und die Personen, die diese verfechten, werden ihrer angeblich „provokativen Art“ oder „moralischen Verwerflichkeit“ wegen ausgegrenzt und unmöglich gemacht. Der so entstehende Konformitätsdruck lässt auch einige unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen aus Angst vor Restriktionen durch andere Studenten und durch Dozenten ihre Haltungen verschweigen und manchmal gar anpassen.

Zudem beobachten wir, dass politische „Dogmen“ wachsenden Einfluss auf Vorlesungs- und Seminargestaltung, sowie auf Leselisten und den interdisziplinären Austausch nehmen und auf diese Weise die Qualität der Lehre und die Möglichkeiten unserer Kommilitonen, ihre Studienfelder umfänglich und fundiert kennenzulernen, mindern.

Die genannten Faktoren bedrohen die Grundfesten akademischer Forschung und Lehre in ihrer Gänze. Obschon die Probleme nicht überall in gleicher Form und Heftigkeit auftreten, erfahren wir ihre Analyse und Behebung als unser Anliegen.

 

2. Begründung

Einer wichtiger Grund für unser Handeln ist die Feststellung, dass eine grundsätzliche Liberalität anderen Weltanschauungen, Überzeugungen und Personen gegenüber nicht mehr selbstverständlich als etwas Positives aufgefasst wird, sondern man sich für diese Liberalität und diesen Pluralismus rechtfertigen muss. Dabei ist diese Rechtfertigung eine leichte und wir wollen an dieser Stelle unsere Überzeugung knapp darlegen.

Wir beginnen aus der Perspektive der Mehrheitsposition: Es lohnt sich, das Recht des anderen auf freie Rede, auf freie Meinungsäußerung und freie Forschung zu akzeptieren und zu verteidigen, weil die Gewissheit um die Majorität der eigenen Gesinnung ein trügerisches Gefühl ist. Beinahe jede politische Überzeugung war zum einen oder anderen Zeitpunkt in der Geschichte Verfolgung und Repression ausgesetzt. Aufklärer und Demokraten begannen ihr Wirken als Aussätzige und Häretiker, als Abweichler von der vorherrschenden Geisteshaltung. Wir können uns niemals sicher sein, dass wir stets zur Mehrheit gehören werden, darum lohnt es sich die Rechte der weltanschaulichen Minderheiten stets so zu behandeln als gehörte man selbst zu dieser Gruppe. In unseren Demokratien ist dieser Gedanke in Form des Majoritäts-Minoritäts-Prinzip verankert, dass auf den österreichischen Juristen und Demokratietheoretiker Hans Kelsen zurückgeht. Es besagt, dass zwar letztendlich die Mehrheit die Entscheidungen trifft, aber die bloße Existenz dieser Mehrheit die gleichzeitige Existenz einer Minderheit voraussetzt. Für einen fairen Mehrheitsentscheid müssen also die Rechte der Minderheit gewährleistet werden, sie muss die Möglichkeit besitzen selbst eines Tages zur Mehrheit zu werden. Und zu diesen Rechten gehören die Freiheit von Wort und Schrift und die Freiheit der Wissenschaft.

John Stuart Mill, ein Vordenker des Liberalismus, geht diese Überlegungen von einer anderen Seite, vom Einzelnen an. Er schreibt in seiner Schrift On Liberty, dass, selbst wenn die gesamte Menschheit mit Ausnahme einer Person einer Meinung wäre, diese überragende Mehrheit das Recht dieses einen Menschen auf freie Rede nicht nehmen dürfte – genauso wie diese Person nicht das Recht hätte, der restlichen Menschheit die Freiheit der Rede zu verwehren. Hier kommt dem Recht der einen Person frei zu sprechen ein zweites Recht dazu, nämlich das der anderen Menschen den Beitrag dieser Person zu hören. Man sollte sich bewusst sein, dass, wenn man die Redefreiheit des anderen beschneidet, auch die eigene Freiheit auf das Hören des Gesagten beschneidet. Dem ein oder anderen mag das nun bei Meinungen, die er oder sie für besonders verwerflich oder falsch erachtet, leichtfallen, auf sein Recht auf Hören zu verzichten: Gerade in der Wissenschaft aber ist es unerlässlich auch diese Gedanken zu hören und zu lesen, allein um später auf Grundlage des Gehörten eine Gegenposition zu formulieren, um dem Gehörten widersprechen zu können.

Es fällt vielleicht auf, dass „Freiheit von Rede“, „Meinungsfreiheit“, sowie „Freiheit von Wort und Schrift“ in diesem Text synonym verwendet wurden und dies hat seinen Grund. Denn allzu oft begegnet den eben dargebrachten Ausführungen die Aussage: „Dies oder das ist für mich einfach keine Meinung, daher schränke ich, wenn ich diese Meinung verbiete, nicht die Meinungsfreiheit ein.“ Diese Ansicht ist aber natürlich der fatale Ausdruck eines geschlossenen Weltbildes, denn sie macht es unmöglich, Kritik an jedweden Positionen zu üben. Kurz, sie übergibt das Recht zu entscheiden, was eine Meinung ist und was nicht, dem Kritisierten. Da niemand gerne Kritik ausgesetzt ist, kann man sich vorstellen, welche Konsequenzen so eine Geisteshaltung nach sich ziehen würde. Der amerikanische Bürgerrechtler und Abolitionist Frederick Douglass entgegnete dieser Überzeugung darum, dass Freiheit dort bedeutungslos sei, wo man nicht seine Gedanken, unabhängig von den Ansichten anderer über diese, äußern könne und der britische Sozialist George Orwell meinte, dass, so dem Begriff Freiheit überhaupt eine Bedeutung zukäme, es die sei, den Leuten sagen zu können, was diese partout nicht hören wollen.

Das Wunderbare an dieser Position ist nun, dass sie nicht einem bestimmten politischen Lager zu eigen ist, als Liberalität steht sie allen Überzeugungen offen. Linken wie Rechten, Sozialisten und Sozialdemokraten, Liberalen, Christdemokraten und Konservativen, Ökologisch-Bewegten steht diese Position offen und so haben sich im Verlauf der Geschichte auch schon Verfechter all dieser Haltungen für die Freiheit von Rede, Schrift und Wissenschaft eingesetzt. Und so verwundert es nicht, dass sich Anhänger all dieser Überzeugungen unter den Gründungsmitgliedern dieses Netzwerks finden.

 

3. Das Verhältnis zum Netzwerk Wissenschaftsfreiheit

Die Initiative Hochschuldialog sieht sich als Partner des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit und arbeitet eng mit diesem zusammen, legt allerdings einen besonderen Wert auf die Perspektiven von Studenten und Doktoranden und stimmt daher nicht notwendigerweise in allen Belangen mit dem Netzwerk Wissenschaftsfreiheit über ein, gleichwohl die inhaltlichen Überschneidungen groß sind. Besonderes Anliegen der Studentischen Initiative Hochschuldialog ist es zudem, aufzuzeigen, dass der Befund des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit Zustimmung und Unterstützung aus den Reihen der Studentenschaft erfährt.

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